Es muss etwas dran sein an der Behauptung des amerikanischen Autors Nicholas Antongiavanni, der in seinem Buch „The Suit“ feststellt, dass sich der Anzug des Herrn mit dessen Haus vergleichen lässt, der Schuh dagegen die Stellung des Autos einnimmt. Der Vergleich bietet sich an, denn die Fußbekleidung ist zum einen Fortbewegungsmittel, zum anderen Objekt von Begierde, Leidenschaft und Liebe. Und wie am Fahrzeug entzünden sich auch am Schuh Diskussionen, die von Uninitiierten verständnislos verfolgt werden. Wer weiß schon, worum es sich bei der „Risslippe“ handelt, warum „handeingestochen“ höher zu bewerten sei als „Goodyear welted“ oder welchen Ursprungs wohl das „Shell Cordovan“ sein mag. In einem Punkt hinkt die Analogie jedoch: Für Autos interessiert sich fast jeder Mann. Der Schuh ist der Mehrheit der männlichen Bevölkerung dagegen ziemlich egal. Sie sieht ihn als notwendiges Übel, für das möglichst wenig Geld ausgegeben wird. Marktuntersuchungen der Einzelhandelsverbände weisen das regelmäßig nach. Für eine so verschwindend kleine wie feine Minderheit ist stilvolle Fußbekleidung dagegen unabdingbare Voraussetzung für Lebensqualität, Ausdruck von Kultur, Quell geheimer Freuden.
Die Angehörigen dieser Minorität leben unbeachtet von der Mehrheitsgesellschaft, wer sich dazuzählen will, braucht keinen Mitgliedsausweis, nur die richtigen Schuhe. Und man sollte natürlich wissen, dass die „Risslippe“ kein Hautleiden ist, sondern ein Damm unterhalb der Brandsohle, an den das Oberleder manuell („handeingestochen“) oder mit einer Maschine („Goodyear welted“) genäht wird und als Lieferanten des „Shell Cordovan“ das Pferde nennen können. Höhere Weihen erlangt man dann freilich nicht durch die Zahl der Schuhe, sondern vor allem durch deren Patina und Glanz, erklärt Sven Kielgas: „Für die Anschaffung von gutem Schuhwerk reicht die Verfügbarkeit von Geld, für deren Pflege braucht es Verstand und Hingabe.“ Kielgas, Partner bei Serviceplan High Tech & Mediasyst International, bewahrt seine Schuhsammlung in einem geräumigen Ankleidezimmer auf. Feinsäuberlich sortiert hängen dort Anzüge, Hosen und Sakkos, darüber liegen die Hüte bereit, in mehreren Schubladen sind die Krawatten nach Farben sortiert eingeordnet. Die Schuhe warten in einem mehrstöckigen Regal auf ihren Gebieter. „Es sind wohl ein paar Dutzend“, vermutet der Marketingmann, während er einen Pferdelederschuh herausnimmt und ihn schräg ins Licht einer Lampe hält, um das Farbenspiel des Leders zur Geltung zu bringen. „Das ist ganz individuelle, wundervolle Patina, wie bei einer Antiquität. Diese Farbtiefe entwickelt sie sich erst nach vielen Jahren.“
Hochwertige Schuhe als Belohnung harter Arbeit
Die Auswahl ist umfassend, Loafer und Schnürer stehen in diversen Modellformen, Farben und Ledersorten bereit, Schnallenschuhe – der Fachmann nennt sie Monks – fehlen genauso wenig wie die halbhohen Chukkaboots der Polospieler. „Meine Sammlung ist komplett, jedenfalls nach den Anforderungen eines Gentleman.“ Wenn Kielgas einen seiner Fräcke anlegt (am liebsten den, der einst vom besten Berliner Schneider für seinen Großvater genäht worden ist), wählt er einen Pump aus schwarzem Lackleder. Zum hellen Sommeranzug und dem echten Panama kommt der Lieblingsschuh zum Einsatz, ein reh- und cremefarbener Full-Brogue. Kielgas fügt fast entschuldigend hinzu, dass der Favorit aus italienischer Fertigung stammt. „Trotz aller Anglophilie.“
Kielgas, der vorzugsweise Anzüge mit Weste trägt und es sich zu Hause stilvoll im samtenen Morgenrock mit Atlasrevers bequem macht, greift nach einem Paar aus rehbraunem Veloursleder. Fast zwanzig Jahre ist es her, dass er es erstanden hat. 1988 war es, am zweiten Tag der CeBit in Hannover. Als „Junior“ hatte er bei seinem ersten Arbeitgeber die komplette Verantwortung für den Messeauftritt. Die Nacht vor dem Eröffnungstag wurde durchgearbeitet, am Morgen stand alles und die Technik funktionierte, zur Belohnung nahm er sich ein paar Stunden frei und gönnte sich beim besten Herrenausstatter am Platze das Paar Rehbraune. Sie entstammen einer amerikanischen Manufaktur, die seit 1884 rahmengenähtes Schuhwerk fertigt, Kultstatus erlangten in Deutschland vor allem die Modelle aus Pferdeleder. In den späten Achtzigern kosteten sie um die 600 Mark, heute muss man einen ähnlichen Betrag in Euro hinblättern. Sven Kielgas empfindet die „in Handarbeit gefertigten Klassiker“ dennoch als „preiswürdig“, da sie bei „guter Pflege und behutsamer Reparatur“ jahrzehntelang halten. „Quod erat demonstrandum.“
Maßschuhe, der Traum vieler „Schuhverrückter“
Die meisten Schuhenthusiasten erinnern sich gut an „das erste Mal“, so auch der BWL-Student Michael Schmidt. Als er noch keine neun Jahre alt war, hatte ihm sein Vater ein Paar Pennyloafer aus schwarzem Cordovan von einer Geschäftsreise mitgebracht. Seitdem hegt der angehende Ökonom eine tiefe Faszination für Schuhe. Ähnlich wie Kielgas legt er größten Wert auf den Glanz seiner ledernen Schätze. Dementsprechend wird er auch häufiger von Connaisseuren angesprochen, denen neben dem spiegelblanken Leder auch die Verarbeitung und die außergewöhnlich schlanke Form auffallen. Michael Schmidt hat sich nämlich schon in jungen Jahren den Traum vieler „Schuhverrückter“ erfüllt, indem er sein Gespartes in ein Paar Maßschuhe investierte. „Der erste Auftritt darin war ein ganz besonders Erlebnis für mich.“ Und so spart Schmidt schon auf das nächste Paar.
Viele gestresste Manager sehen das Putzen als fast meditative Entspannungsübung und sie investieren in die nötigen Cremes, Bürsten und Pasten Beträge, für die Durchschnittsmänner ihren Jahresbedarf an Gehwerkzeugen erstehen. Andere teilen das Vergnügen mit Gleichgesinnten, zum Beispiel im Club Swann in Paris benannt nach Marcel Prousts berühmtester Romanfigur. Der Club wurde 1992 von Kunden des Pariser Edelschusters Berluti gegründet, das Inaugurationstreffen fand in der Luxusherberge Crillon statt, Mitglied wird man nur auf Einladung. Intellektuelle, Künstler und Unternehmer treffen sich seitdem einmal pro Jahr, krempeln die Ärmel ihrer Maßhemden hoch und polieren bei geistvollem Gespräch die edlen „chaussures“ auf Hochglanz – der Legende nach mit Champagner. Ähnliche Zusammenkünfte finden hierzulande bei Eduard Meier in München statt, Deutschlands ältestem Schuhhaus. Peter-Eduard Meier, Hausherr in 13. Generation, weist dort in einem mehrstündigen Abendseminar in die Kunst des Schuheputzens ein. Seine Meinung zur Verwendung edlen Schaumweins als Politur? „Kein Kommentar.“ Die Teilnehmer sind durchweg gut beschuht und vermutlich ebenso gut betucht, allerdings stehen die Kurse jedem offen, die Anmeldung ist online möglich.
Auch Sven Kielgas hat die Kunst des schönen Scheins bei Eduard Meier erlernt. Bei fachgerechter Anwendung kann man mit den Spezialpräparaten des Hauses, das der Marketingmann als „führenden Kunsthandel in Sachen Fußbekleidung“ bezeichnet, „wahre Wunderwerke der Restaurierung vollbringen und verloren geglaubte Lieblinge retten“. Auch Michael Schmidt poliert seine gut 30 Paar Schuhe mit Andacht, seine Freundin konnte er noch nicht so weit für sein Hobby begeistern, dass sie an seiner Seite die Bürste schwingt: „Sie hört mir interessiert zu, wenn ich über ein neues Modell ins Schwärmen komme, fürs Putzen reicht die Begeisterung aber noch nicht.“ Besonders gern verleiht der smarte BWLer braunen Schuhen durch dunklere Wachspasten einen individuellen Ton, da dies bei schwarzen Modellen nicht geht, findet er sie auch deutlich langweiliger.
„Leider versteht man in Deutschland sowas nicht“
Die gegenwärtige Schuhmode sieht Kielgas kritisch: „Die unaufhaltsame Invasion der Sneaker finde ich sehr bedauerlich. Muss ich im Büro wie in der Turnhalle daherkommen?“ Trotz oder gerade wegen der um sich greifenden Lockerung der Konventionen würde Kielgas sich am liebsten irgendwann einmal ein Paar Wiener Knöpfstiefeletten zulegen, doch er fürchtet die „Gefahr des Operettenhaften“. Auch Michael Schmidt scheut Schuhmodelle, die allzu viel Aufmerksamkeit auf sich und ihren Träger lenken: „Spectators gefallen mir, also zweifarbige Fullbrogue Oxfords wie sie in den 1930ern getragen wurden. Leider versteht man in Deutschland sowas nicht.“
Die Begeisterung fürs Schuhwerk ist ein stilles Vergnügen. Die kleinen Kunstwerke aus Leder werden zwar in aller Öffentlichkeit spazieren getragen, doch der Laie sieht darüber hinweg. Zum Angeben und Prahlen taugt dieses Hobby deshalb überhaupt nicht. Sven Kielgas beschreibt sein Interesse am „passablen Schuhwerk“ ohnehin als „Streben nach zivilisierter Erscheinung und kultivierten Umgangsformen“. Auch Schmidt will mit seinem Schuhwerk niemanden beeindrucken, für ihn steht neben der Ästhetik die überlegene Passform des handgemachten Schuhs im Vordergrund: „Man verbringt die Hälfte des Tages darin, Grund genug, größten Wert darauf zu legen.“
Stilpapst Bernhard Roetzel – Foto: Erill Fritz
Den Text veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung von Bernhard Roetzel. Die Zwischenüberschriften wurden nachträglich von uns eingefügt.
„Schuhfreaks“ stammt aus seinem E-Book „Betrachtungen eines Unmodischen“, einer Sammlung von Artikeln des Stilpapstes