Hochwertige Herrenschuhe unterscheiden sich nicht allein durch die verwendete Lederart, das Grundmodell oder den Schuhaufbau. Ebenso aufschlussreich im Hinblick auf Charakter und Einsetzbarkeit des jeweiligen Schuhwerks ist zudem die Leistenform. Doch für einen perfekten Leisten bedarf es weit mehr als nur das Wissen um die korrekte Weite und die richtige Schuhgröße.
Heute gibt es der verschiedenen Leistenformen viele. Egal, ob man die spitz zulaufende Eleganz des italienischen Karree-Leistens bevorzugt oder die klassisch abgerundete Schuhspitze favorisiert, für beinahe jeden Geschmack findet sich derzeit eine entsprechende Leistenform. Doch der Leisten erfüllt nicht nur ästhetische Ansprüche, sondern bildet schlichtweg das Herzstück eines jeden Schuhaufbaus.
Das Abbild des menschlichen Fußes
Allgemein ist der Leisten ein spezielles Formstück, das für die Schuhherstellung unverzichtbar ist. Meist aus Holz, zuweilen auch aus Metall oder Kunststoff gefertigt, erhält der Schaft (das Schuhoberteil) erst durch den Leisten seine endgültige Form. Er dient als dreidimensionales Abbild des menschlichen Fußes und spiegelt die Fußwölbung und Ballenbreite ebenso wider wie den Abstand zwischen dem Zehen- und Fersenbereich. Im Rahmen der traditionellen Schuhfertigung baut der Schuhmacher den Schuh um den Leisten herum auf: Zuerst befestigt er die Brandsohle (Innensohle) unter dem Leisten, zwickt anschließend den Schaft straff über dem Leisten zusammen und vernäht schließlich Schaft und Sohle über den Rahmen miteinander. Erst danach wird die Laufsohle angebracht.
Doch nur ein perfekt modellierter Schuhleisten gewährleistet auch eine perfekte Passform. Selbst minimale Abweichungen im Spann oder der Ferse genügen und der Tragekomfort ist passé. In anderen Fällen sind Abweichungen von den natürlichen Fußmaßen nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht: Eine vorne schmal zulaufende Leistenform wie bei dem beliebten Karree-Leisten entspricht kaum der echten Fußform, sondern erfordert stattdessen eine zusätzliche Verlängerung der Spitzenpartie. Gleichwohl verlangt eine sogenannte Spitzensprengung – also, die Erhöhung der Leistenspitze über der Auftrittsfläche – einen steiferen Schuhboden und eine niedrige Absatzsprengung.
Symmetrische Leisten versus Rechts-Links-Sohlen
Bereits die Griechen und Römer wussten zwischen dem rechten und dem linken Fuß zu unterscheiden und folgten bei der Schuhherstellung der natürlichen, asymmetrischen Fußform. Eine solche Differenzierung gestaltete die Herstellung zwar deutlich aufwendiger, garantierte jedoch einen höheren Tragekomfort. Umso seltsamer mutet es an, dass das Wissen um die heute gängigen Rechts-Links-Sohlen für rund 300 Jahre verschwand. Noch im Mittelalter waren zwei unterschiedlich geformte Leisten für die linken und rechten Schuhe selbstverständlich, doch begnügten sich im 17. Jahrhundert die Schuhmacher wieder mit einem einzigen Schuhleisten für die Fertigung von Lederschuhen.
Es ist wenig überraschend, dass solch symmetrisch gefertigte Fußbekleidung keinen Tragegenuss versprach, sondern ein unangenehm schmerzhaftes Übel war. Ein tatsächlicher Tragekomfort stellte sich (wenn überhaupt) erst ein, wenn die neuen Schuhe entsprechend rechts und links ausgetreten waren und ihre asymmetrische Passform erreicht hatten. Um die Füße der vornehmen Gesellschaft vor unangenehmen Druckstellen zu verschonen, war es Gang und Gäbe, zuerst die Bediensteten in das herrschaftliche Schuhwerk schlüpfen zu lassen. Erst nach einigen Tagen gingen die Schuhe an ihre blaublütigen Besitzer über – nun bereits an den entsprechenden Stellen geweitet.
Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Diskussion um resultierende Fußschäden aufkam, geriet die symmetrische Leistenform allmählich ins Wanken. So konstatierte beispielsweise der holländische Arzt Peter Camper (1722-1789) aus Groningen in seiner Streitschrift „Abhandlung über die beste Form der Schuhe“ aus dem Jahr 1781, dass das zeitgenössische Schuhwerk bereits von Kindesalter an die Zehen verunstaltete und lediglich zu Hühneraugen führte. Zu dieser Zeit fanden sich zwar vereinzelte Schuhfabriken in den USA, die sich auf die komfortablen Rechts-Links-Sohlen besannen, doch hielt sich mehrheitlich die symmetrische Leistenform. Erst während des amerikanischen Bürgerkriegs kam der Zusammenhang zwischen der Leistungsfähigkeit der Soldaten und einem angemessenen Schuhwerk in vollem Maße zum Tragen und der gerade Leisten verschwand endgültig von der Bildfläche.
Länge x Breite macht noch lange keinen perfekten Leisten
„Doch wer keinen Leisten kennt, wird ein Pfuscher bleiben“, wusste schon der gute Johann von Goethe. Doch mit der richtigen Länge (Fußgröße) und der Weite (Fußumfang) ist es in puncto perfekter Leisten noch lange nicht getan. Bei der Leisten-Herstellung müssen ebenso Fersen-, Ballen- und Ristmaß beachtet werden wie auch die Abrollbewegungen des Fußes im Schuh selbst. Der Leisten ist somit weit mehr als ein bloßes Abbild des menschlichen Fußes, sondern berücksichtigt zugleich als räumliche Kopie auch den Bewegungsablauf des Fußes im Schuh.
Gleichwohl richtet sich die Gestalt des Schuhleistens nach der jeweiligen Machart des Schuhwerks. Während der Leisten bei der durchgenähten Fertigungsmethode bereits vor der Fertigstellung entnommen wird, verbleibt der Leisten bei seinem rahmengenähten Pendant bis zum Ende im Schuh. Im Gegensatz zu preiswert geklebten Schuhen, die sich meist leichter formen lassen, bietet die rahmengenähte Machart durch ihre zusätzlichen Verstärkung eine hohe Formbeständigkeit. Das bedeutet allerdings auch: Passt der rahmengenähte Schuh nicht hundertprozentig, leidet sein Besitzer deutlich länger, bevor sich eine angenehme Weitung einstellt.
Abschließend noch ein Ausflugstipp für alle Schuhbegeisterten: Noch bis zum 12. Januar 2014 können Sie im Grazer Joanneum Universalmuseum Schuhe mit Geschichte in der Ausstellung »Ihr Auftritt!« erleben.