Schuhe hängen in der Luft, sie baumeln in stiller Eintracht von Stromkabeln, Bäumen, Laternen, Brücken und nicht selten auch von Ampeln und Straßenschildern. Seit Jahrzehnten beobachten Menschen überall in der Welt das „fliegende Schuhwerk“ und stellen sich dieselben Fragen: Wer hängt die Schuhe auf? Warum werden sie dorthin befördert? Und was wollen die Urheber damit bezwecken? Wir widmen uns dem Phänomen um die luftigen Schuhe.
Von Schuhen, Bäumen und findigen Raststellenbetreibern
Irgendwo mitten im Outback Australiens begegnete ich ihnen zum ersten Mal. Mitten auf der Landstraße zwischen der einstigen Opalstadt Coober Pedy und dem verschlafenden Alice Springs baumeln plötzlich hoch über unseren Köpfen Hunderte Paar von Schuhen in den knöchernen Ästen eines alten Eukalyptusbaumes. An Schnürsenkeln zusammengebunden, wahllos in dem kahlen Astwerk des Blaugummibaums verteilt, sind die teils vermoderten Turnschuhe, Stiefel und Sandalen Wind und Wetter der launischen Northern Territoriy’s ausgesetzt. Wer das erste Schuhpaar in die Lüfte beförderte und warum, vermag selbst der freundliche Besitzer der nähst gelegenen Tankstelle nicht zu sagen. Doch kommen jedes Jahr neue Schuhe zu diesem kuriosen „shoe tree“ hinzu.
Auch nach meiner Rückkehr nach Deutschland sehe ich sie immer wieder. In Berlin, Köln oder Hamburg hängen sie nur vereinzelt in den Baumkronen, dafür aber oftmals von Laternen und Straßenschildern – in den USA soll es dagegen rund 80 Stück der mysteriösen „shoe trees“ geben. Der wohl größte seiner Art wurzelte noch bis 2011 auf dem Highway 50 in Nevada. Rund 170 Kilometer von Reno entfernt, verzierten Reisende seit Jahrzehnten jene 21 Meter hohe Pappel mit ihrem Schuhwerk und formten den sogenannten Schuhbaum über die Jahre hinweg zu einem einzigartigen Wahrzeichen, das weit über die Grenzen des Bundesstaates hinaus Bekanntheit erlangte. Doch kein touristischer Schuhbaum ohne eine sentimentale Entstehungsgeschichte und so geht angeblich das erste Schuhpaar auf die Rechnung eines streitenden Pärchens in den 1990er Jahren.
Auf der Fahrt in ihre Flitterwochen entbrannte zwischen den frisch Vermählten auf eben jenem Highway 50 ein ausgewachsener Streit. Als die Frau aus dem Auto steigen und wütend davon laufen wollte, griff der Mann kurzerhand nach ihren Schuhen und warf sie – so erzählt man sich jedenfalls noch heute – hoch in die am Seitenrand stehende Pappel. Die Frau blieb bei ihrem Mann und der Streit war vergessen. Doch all ihre Versuche, die Schuhe wieder aus den Zweigen zu befreien, blieben ohne Erfolg und so mussten sie ihre Fahrt ohne das gute Schuhwerk fortsetzen. Dem Eheglück der beiden scheint diese Episode keinen Abbruch getan zu haben, denn – wie in jeder guten Geschichte – führte auch der Weg des Ehepaares wieder an den Ort des Geschehens zurück. Wie groß war ihre Überraschung, als sie bei einer Jahre später unternommenen Reise feststellten, dass viele andere ihrem Beispiel gefolgt waren. Aus einem einzigen Schuhpaar waren in der Zwischenzeit Hunderte von Schuhen geworden. Eine wirklich bezaubernde Geschichte, mit welcher der ansässige Tankwart die Touristen jahrelang bezirzte und nebenbei erfolgreich seine Postkarten verkaufte.
Zwei Schuhe machen eine Leiche
Vor allem seit den 1990er Jahren vermehrten sich überall in der Welt die ominösen Schuh-Skulpturen auf Bäumen, Stromleitungen, Laternen oder wahlweise Ampeln. 2003 schwappte das sogenannte „shoe tossing“, beziehungsweise „shoefiti“, auch nach Deutschland über und entwickelte sich zu einem regelrechten Trend. Während viele in den baumelnden Schuhen lediglich ein öffentliches Ärgernis sehen, streiten sich die Befürworter noch heute um die Urheberschaft, am erbittertsten die USA und Schottland.
So schwören die Schotten, dass es unter Heranwachsenden eine altbekannte Tradition sei, ihre Schuhe ins Fenster zu hängen, sobald sie ihre Unschuld verloren. In der New Yorker Bronx sollen Schuhe an Stromleitungen und Häusern dagegen Gangreviere markieren. Der Pastor einer kleinen Gemeinde im südlichen Los Angeles, in dessen Ortschaft alle 500 Meter Schuhe an den Oberleitungen zu finden sind, weiß das Phänomen vollkommen anders zu erklären: Jedes Schuhpaar steht für einen getöteten Menschen. An dem Ort, an dem er oder sie verstarb, werfen die Freunde ein Schuhpaar über die Stromleitung und erinnern auf diese Weise an den traurigen Verlust.
Doch damit sind die Theorien noch lange nicht erschöpft. Eine andere lautet: Aus der Armee entlassene Soldaten würden aus Freude über das Ende ihrer Dienstzeit ihre Schuhe in die Bäume befördern. Wieder andere glauben, jene baumelenden Schuhe verfügen über wundersame Kräfte und halten böse Geistern von ihnen fern. Anhänger der letzten Theorie (und nicht zuletzt der redselige Tankwart) mussten 2011 eine bittere Enttäuschung verkraften, als die herrliche Pappel auf dem Highway 50 eines Nachts der Axt von Unbekannten zum Opfer fiel und unbemerkt gefällt wurde.
Letztlich ist das Rätsel um die luftigen Schuhe nur schwer mit einer eindeutigen Erklärung zu lösen, doch wie sagte schon José N. Harris: „Sometimes we need to do things we’d rather not do, in order to get the peace that we need.”
Wer noch mehr über das Shoe Tossing erfahren möchte: Der nachfolgende Kurzfilm geht dem Phänomen auf den Grund:
Image credit: leedsn / 123RF Stock Foto